Reisen und Nachhaltigkeit – ein Widerspruch?

Reisen und Nachhaltigkeit

Wer kennt es nicht: Weihnachten und Silvester liegen hinter uns, wir starten motiviert und mit großen Sprüngen ins neue Jahr. Doch der Alltag holt uns schneller ein, als uns lieb ist. Kein Wunder, dass da der Wunsch nach einem Tapetenwechsel aufflammt – man möchte einfach mal wieder verreisen! Über Nachhaltigkeitsbedenken spricht die Mehrheit jedoch ungern. Zu selbstverständlich ist der Jahresurlaub geworden, zu groß das Fernweh. Wie soll man denn bitte verantwortungsvoll in den Urlaub fahren? Oder anders gefragt: Passen Reisen und Nachhaltigkeit überhaupt zusammen?

Ich denke, es kommt dabei auf die Perspektive an. In diesem Artikel erkläre ich, warum.

Die Krux mit Reisen und Nachhaltigkeit

Gemessen an der schieren Tatsache, dass ich in einem modernen Industrieland lebe, fällt meine eigene Nachhaltigkeitsbilanz im internationalen Vergleich nicht allzu gut aus. Deutschland bräuchte fast drei Erden, um seinen Ressourcenverbrauch zu kompensieren. Das (offenkundige) Problem: Wir haben nur eine. Trotzdem machen wir weiter. Wir konsumieren, als ob es kein Morgen gäbe. Und wir reisen. Kurzzeitig von der Pandemie ausgebremst, geht es im Jahr 2023 ungebremst weiter.

Ich beabsichtige nicht, mich von diesem Trend freizusprechen – das kann ich gar nicht.

Mit 40+ Ländern im Gepäck gehöre ich zu den Menschen, die schon viel von dieser Welt gesehen haben. Ich habe wochenlang auf einer Farm im australischen Outback geschuftet, meine Surf- und Yogakenntnisse in Costa Rica aufgefrischt und mich während eines Auslandssemesters Hals über Kopf in England und Schottland verliebt. Das Reisen gehört zu meiner Vergangenheit, es definiert mich. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich ohne diese unbändige Abenteuerlust in meinen Zwanzigern nicht zu dem Menschen geworden wäre, der ich heute bin.

Typische Pauschalurlaube haben mich noch nie interessiert. Lieber wollte ich raus in die Welt, neue Sprachen lernen, die Kultur mit all ihren Farben und Gerüchen aufsaugen. Das war ich. Und das bin ich immer noch. Doch am Ende des Tages muss ich ehrlich zu mir selbst sein: Nachhaltig war das nicht, zumindest nicht im ökologischen Sinne.

Schließlich bin ich nicht nach Südamerika geschwommen.

Mit der Zeit habe ich mir angewöhnt, das Wörtchen „nachhaltig“ aus meinem Reisewortschatz zu streichen. Reisen und Nachhaltigkeit, irgendwie harmonieren diese Begriffe nicht. Meine Auslandsaufenthalte mögen mich zwar nachhaltig geprägt haben, aber mit der Einsparung natürlicher Ressourcen hat eine Flugreise wenig zu tun.

Wie lösen wir dieses Problem? Sollen wir nun gar nicht mehr reisen?

Ökologisch gesehen wäre das natürlich die beste Lösung. Gleichzeitig unterstelle ich niemandem, zu reisen, um gezielt unserem Planeten zu schaden.

Vielmehr reisen wir, weil …

  • es uns glücklich macht
  • wir dabei die ultimative Freiheit verspüren
  • uns ferne Länder und Kulturen inspirieren
  • wir dem hektischen Alltag entfliehen wollen
  • es uns einen differenzierteren Blick auf die Welt ermöglicht

Wir reisen, weil es unserer Seele guttut.

Reisen ist Leidenschaft. Und leidenschaftlichen Reisenden gelingt es, unterwegs nicht bloß einen Mehrwert für sich, sondern auch für die Menschen vor Ort zu schaffen.

Ich behaupte jetzt einfach mal, dass viele von uns so denken, fühlen und handeln.

Doch wo bleibt bei alledem die Nachhaltigkeit?

Drei Ansätze für weniger umweltschädliches Reisen

Im Kontext Reisen und Nachhaltigkeit beschäftige ich mich regelmäßig damit, wie wir dieser Leidenschaft weniger umweltschädlich nachgehen können. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto erstrebenswerter erscheinen mir die „neuen“ Ansätze des Reisens.

Die folgenden drei Konzepte haben zudem den Vorteil, dass sie uns und andere auch auf sozialer Ebene bereichern.

#1: Regionaler Tourismus

Warum in die Ferne schweifen, wenn die Schönheit der Natur direkt vor unseren Augen liegt?

So oder so ähnlich könnte das Motto für regionalen Tourismus lauten. Während der Corona-Lockdowns habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, meine Heimat besser kennenzulernen. Mein Resümee? Es ist in der Tat faszinierend, was Deutschland zu bieten hat.

Jetzt, wo Hotels und Restaurants, Attraktionen und Sehenswürdigkeiten wieder rund ums Jahr ihre Türen öffnen, liegt eine Inlandsreise buchstäblich nahe. Erholung ist auch hierzulande möglich. Es kommt nur darauf an, wie man einen solchen Urlaub gestaltet. Abseits (und auch nahe) der Touristenpfade locken einsame Wanderhütten, urige Weindörfer und Reetdachhäuser mit Seemannsblick.

Nie waren die Möglichkeiten, etwas Besonderes vor der eigenen Haustür zu erleben, so vielversprechend wie heute. Regionaler Tourismus blüht, und das deutlich ressourcenschonender als jede Flugreise es ihm streitig machen könnte.

Vielleicht sollten wir ihm nur öfters eine Chance geben.

#2: Slow Travel

Nicht selten fühlt man sich nach einem Urlaub gestresster als vorher. Eine helle Geräuschkulisse, feste Essenszeiten und tägliche Ausflüge liefern Eindrücke, die wir in kurzer Zeit nicht verarbeiten können. Schnell wird das Reisen zu viel und man ist froh, wenn man wieder zuhause ist. Für diejenigen, die ähnlich fühlen, könnte die Lösung lauten: Slow Travel.

Slow Travel ist das Gegenteil von Massentourismus. Im Kern geht es darum, die Destination bewusst zu erleben und tiefer in Natur, Kultur und Sprache einzutauchen. Eine Zugreise durch Europa kann ebenso zu Slow Travel zählen wie ein Wanderurlaub in den Alpen – solange man einzelne Reiseziele nicht bloß abhakt, sondern sie mit anderen Augen wahrnimmt als ein Urlauber.

Denn Slow Travel bedeutet Reisen, nicht Urlaub.

Wer mehr Zeit mitbringt und lieber die Ferne erkunden will, kommt an einer Flugreise nicht vorbei. Doch auch auf einem anderen Kontinent ist Slow Travel möglich. Allerdings sollte man das Credo „Jetzt bin ich schon mal hier, da muss ich auch möglichst viel sehen“ ablegen.

Zwei Beispiele aus eigener Erfahrung:

  1. Kapstadt, Südafrika: Ich habe den Tafelberg einfach mal ausgelassen. Erstens, war er zuvor gesperrt gewesen und ich hätte ihn nur noch an diesem einen Tag besichtigen können. Und zweitens, hatte ich das Gefühl, meine Zeit lieber in der Natur anstatt einer Warteschlange verbringen zu wollen. Menschenmassen können stressen, gerade an so einem besonderen Ort. Das war nicht das Ziel dieses Tages, dieser Reise.
  2. Uluru, Australien: Ich habe den berühmten Sonnenaufgang am roten Felsen verpasst, weil ich schlichtweg verschlafen habe. Und ja, in dem Moment brauchte ich meinen Schlaf. So viel hatte ich die Tage zuvor gesehen, so viel erlebt. Noch heute erinnere ich mich an die Ruhe draußen, die sich langsam im Zelt ausbreitende Wärme und das Gefühl, mit neuer Energie in den Tag zu starten. Dann würde ich mir eben den Sonnenuntergang anschauen …

Slow Travel bedeutet, auf das eigene Gefühl zu hören, nicht zu hetzen und es sich zu erlauben, auch mal etwas zu verpassen. Denn was haben wir davon, wenn wir unsere Welt schnellen Schrittes abklappern und dabei vergessen, warum wir überhaupt aufgebrochen sind?

Die gute Nachricht: Slow Travel kann jede:r. Nur liegt die größte Hausforderung darin, sich von bestehenden Reiseerwartungen zu lösen und eine neue Erfahrung zuzulassen.

#3: Eine Reise zu uns selbst

Oftmals rührt unser Bedürfnis danach, aus gewohnten Strukturen auszubrechen, aus einer tiefen Sehnsucht nach Ruhe – Ruhe von der Arbeit, von gewohnten Menschen, vom Alltag. Eine Reise soll unsere Batterien wieder aufladen und Resilienz stärken.

Doch wenn schon vorher nichts mehr geht, wie dann auf Reisen Erfüllung finden?

Unser Alltag wird stressiger, bunter, lauter. Da noch bei der Reiseplanung an Nachhaltigkeit zu denken, scheint vielen so fern wie ihre Wunschdestination selbst. Warum erlauben wir uns nicht auch zuhause hin und wieder, aus gängigen Strukturen auszubrechen? Warum wollen wir ständig 100 Prozent geben, wenn es ein Teil davon auch tun würde?

Keine Reise der Welt kann uns die Kraft zurückgeben, die wir in unserer Leistungsgesellschaft verbrauchen. Einen Urlaub hauptsächlich als eine Art Belohnung anzusehen, ist zwar möglich, stellt uns meiner Meinung nach aber vor ein großes Problem: Wir reisen nicht mehr des Reisens willen, sondern aus einer Selbstverständlichkeit heraus, die wenig mit Slow Travel & Co. zu tun hat.

Nicht nachhaltig, aber weniger umweltschädlich wäre es also, dann auf eine Reise aufzubrechen, wenn uns wirklich danach ist. Lieber einmal „richtig“ als zehnmal „so halb“.

Natürlich ist dies kein Reisekonzept per se (wobei es ganz tolle Reisen gibt, die sich dieser Thematik annehmen!), aber eine Randbemerkung zum Nachdenken.

Und ein Appell an uns alle, die Zeit des Nicht-Reisens konstruktiver zu verbringen.

Fazit: Reisen und Nachhaltigkeit

Ziel dieses Textes war es nicht, mahnend mit den Finger auf andere zu zeigen – ich hoffe, das wurde zwischen den Zeilen deutlich. In einer Gesellschaft, in der Urlaub und Reisen zum guten Ton gehören, können sich nur wenige von dieser Streitfrage loslösen.

Wir leben nicht nur über unsere Verhältnisse, wir reisen auch über unsere Verhältnis. Ich eingeschlossen, na klar! Und wer auch immer uns einbläuen möchte, dass eine Kreuzfahrt inklusive Langstreckenflug plötzlich doch nachhaltig sein kann, argumentiert am Thema vorbei.

Das Konzept des nachhaltigen Reisens ist meiner Ansicht nach eine Utopie.

Dennoch gibt es Wege, weniger umweltschädlich zu reisen. Und da ich bekanntlich kein Fan davon bin, Veränderungen radikal vom Zaun zu brechen, habe ich einige von ihnen hier vorgestellt. Ich bin zuversichtlich, dass mit der Zeit immer mehr Menschen erkennen werden, welch Privileg jede einzelne Reise doch ist. Und dass wir unseren Aufenthalt – sei es in Deutschland oder in Australien – so verbringen sollten, wie er uns wirklich guttut.

Und anderen natürlich auch.

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